Politik 4.0 – über die Blockade der Gesundheitspolitiker
„Das Schneckentempo ist das normale Tempo jeder Demokratie.“ sagte Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Können wir uns diese Langsamkeit angesichts der immer drängenderen Probleme im Gesundheitswesen noch leisten? Es wäre ja schön, wenn wir durch ein geruhsames Vorausdenken proaktiv nachhaltige Lösungen für die Zukunft entwickeln würden. Aber die brutale Wirklichkeit zeigt leider, dass unsere Politiker nur noch reaktiv den dramatischen Entwicklungen nachrennen können.
Auf dem diesjährigen Jahresempfang der Mittelstandsorganisation BVMW berichtete Estlands Premierminister Taavi Roivas den versammelten 3.000 Unternehmern, Politikern und Botschaftern von der Digitalisierung seines Landes. 95% der Esten geben ihre Steuererklärung online ab und benötigen für das Ausfüllen des Formulars nur fünf Minuten. Die Bearbeitung durch das Finanzamt erfolgt innerhalb einer Woche. Eine Unternehmungsgründung dauert weniger als eine Stunde, da Verträge einfach über das Internet abgeschlossen werden. Und in der Türkei haben Flüchtlinge in sechs Monaten 20.000 Firmen gegründet und dadurch über 100.000 neue Arbeitsplätze geschaffen.
Warum können wir nicht in einem gemeinschaftlichen Ruck das verkrustete Gesundheitssystem Deutschlands in die 4.0 Ära hieven? Zwei Manager der Stiftung Münch, Stephan Holzinger und Boris Augurzky haben in ihrem Buch „Netzwerkmedizin“ eine Erklärung für den immerwährenden Reformstau parat. Das Dilemma der Politiker wird von drei einflussreichen Gruppen erzeugt: 350.000 niedergelassene Ärzte mit einer Milliarde Patientenkontakten im Jahr, 2.000 Krankenhäuser mit 19 Millionen stationären Fällen jährlich und 20.000 Apotheken mit 3,6 Millionen Kunden pro Tag. Sollte der Gesundheitsminister vorhaben, dieser Klientel etwas wegzunehmen, wird diesen potenziellen Wählern mit Plakaten an den Wänden der baldige Zusammenbruch der Versorgung angekündigt. Nach dem Wahldesaster von Gerhard Schröder, ausgelöst durch die Agenda 2010, wird jeder Politiker Änderungen und Reformansätze nur in fast unmerklichen Tippelschritten umsetzen wollen.
Die beiden Autoren empfehlen als Heilmittel gegen die drohende Rationierung und zur Wiederherstellung der Zukunftsfähigkeit des Gesundheitswesen bundesweite Netzwerke von Leistungsanbietern aller Versorgungsstufen, die Einführung der elektronischen Patientenakte und ein neuartiges Versicherungsangebot, kurz die „Netzwerkmedizin“.
Diesem Netzwerkgedanken hat sich das Krankenhaus-Kommunikations-Centrum schon vor zwanzig Jahren verschrieben und es wird weiterhin seine Partner dazu ermuntern, über den Tellerrand zu blicken und Brücken zu bauen.
Manfred Kindler (KKC-Präsident