Lauterbachs Revolution im Krankenhaus

» Artikel veröffentlicht am 25.01.23, von

„Mentor, Consultant, Kurator, Blogger, Autor, Störer, Neuronengewitter, Bewussthaber, Universalist, Wissensarbeiter & sowieso Mensch“, so beschreibt sich Frank Stratmann in seinem Blog und bietet eine intellektuelle Partnerschaft im Gesundheitsgeschehen an (also ganz im Sinne des KKC-Gedankens). In seinem aktuellen Beitrag befasst er sich mit der Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach von der bevorstehenden Revolution im Krankenhaus: Schluss mit Profitdenken, Fokus auf die Patienten, das 20 Jahre alte System der Fallpauschalen soll systematisch überwunden werden. Der Marburger Bund, die DKG und der Sozialverband VdK halten die grundsätzlich richtigen Gedanken noch für ein leeres Versprechen.

Stratmann setzt an einen aktuellen Hyperfokus der Öffentlichkeit an: „Was ein Krieg in unserer Nachbarschaft beim Thema Verteidigung auslöste, könnte mit Konkretisierung der als Revolution angekündigten Krankenhausreform die postpandemische Bedeutung von Gesundheit neu definieren.“

Seine interessanten Darlegungen kann man in seinem LinkedIn-Blog verfolgen. Hier ist sein Originalbeitrag (Vielen Dank zur Freigabe des Abdrucks.)

Ohne Hyperfokus der Öffentlichkeit keine Revolution für unsere Krankenhäuser
Was haben Gesundheit und Verteidigung gemeinsam? Hinsichtlich ihrer Versäumnisse einiges. Gelegentlich geraten sie in den Hyperfokus der Öffentlichkeit. Eine Betrachtung.

Gesundheit und Verteidigung bestimmen das politische Geschehen zum Beginn des Jahres 2023. Berechtigterweise geraten beide gesellschaftliche Anliegen aktuell zeitgleich in den Hyperfokus der Öffentlichkeit. Das hat Folgen. Bisherige Defizite, die verschleiert oder ertragen wurden, erfahren noch einmal eine Steigerung an überfälliger Aufmerksamkeit. Das geht noch stark über die betroffenen Persönlichkeiten. Ein Vergleich ist aber zulässig: Was ein Krieg in unserer Nachbarschaft beim Thema Verteidigung auslöste, könnte mit Konkretisierung der als Revolution angekündigten Krankenhausreform die postpandemische Bedeutung von Gesundheit neu definieren.

Meine Betrachtung versucht zunächst die Parallelen aufzuzeigen und widmet sich dann im Anspruch den mit der Krankenhausreform noch nicht erkennbaren Aspekten einer deliberativen Kommunikation rund um die Gegenstandsbereiche #Gesundheitsdaten und #Gesundheitskompetenz.

► VERTEIDIGUNG

Die politischen Analysen sind sich einig. Das Verteidigungsministerium bleibt ein Schleudersitz und wer Kanzlerambitionen hat, sollte einen weiten Bogen um den Bendlerblock machen. Einzig Frau Kramp-Karrenbauer war so mutig, sich über das Verteidigungsministerium als Merkels Nachfolgerin positionieren zu wollen. Sie scheiterte nicht nur, weil sie das Ministerium als Karriere-Booster vernutzen wollte. Genau wie Christine Lambrecht, die als Quotenfrau das für sie persönlich wenig attraktive Ressort übernahm, dem Kanzler einen Gefallen tat und mit dem Krieg in der Ukraine in Schwierigkeiten geriet. Das Erbe ihrer Vorgänger:innen wog zu schwer. Ihr Amtsverständnis hätte sie ohne Krieg wahrscheinlich eine Legislatur mehr oder weniger getragen, ohne weiteren Schaden anzurichten. Die Karriere wäre gesichert gewesen.

Land und Gesellschaft wähnten sich in den vergangenen Jahrzehnten sicherheitstechnisch einigermaßen ausreichend aufgestellt. Die da oben werden schon wissen, was sie tun. Manchmal sprach man über 2-Prozent-Ziele und hörte gelegentlich von nicht tauchenden U-Booten und fluguntauglichen Kampfjets. Na und? Die Abrüstung der Verteidigungsfähigkeit erfuhr mit der Phrase »kaputtgespart« ihren manifestierten Zustand und ein Etikett, das Mutmaßliche weg zu ertragen. In der komplexen VUCA-Welt keinerlei größere Aufregung mehr provozierte.

Im Verteidigungsministerium wurde zudem Personal bevorzugt, das nach Proporz und parteitaktischen Kriterien ausgewählt wurde. Die Intransparenz darüber, welche Probleme eine Minister:in de tatsächlich haben kann, wurde vom Ministerium weiterhin verschleiert. Außer auf unklare Beteiligungen an Urlaubsflügen in einem Helikopter (Lambrecht) und die Überbeanspruchung von Beraterleistungen (von der Leyen) aufmerksam zu machen, sorgten auch die Medien für wenig Klarheit.

Der Krieg in der Ukraine änderte alles.

Mit dem Ausbruch des Krieges geriet nicht nur der Zustand unserer Verteidigung, das Amt und damit auch die Person Lambrecht in den Hyperfokus der Öffentlichkeit. Die übernommenen Strukturen im Ressort als Hinterlassenschaft einer fast zwei Jahrzehnte andauernden Regierung Merkel vereitelte jedes agile Handeln. Die jetzt von der letzten Ministerin im Abgang uneinsichtige Medienschelte markiert einen traurigen und wahrscheinlich nur vorläufigen Schlusspunkt in dieser Causa.

So wird es dem wehrhaften Karl Lauterbach sicher nicht gehen. Doch schon sein Vorgänger Jens Spahn rückte mit der Pandemie in den beschriebenen Hyperfokus. Der sorgte vor, in dem er früh spekulierte, man müsse sich vieles verzeihen.

Jetzt erklärt der aktuelle Bundegesundheitsminister dem Krankenhaussektor die Revolution. Damit sollen die Defizite angegangen werden, die aufgrund einer über Jahrzehnte destruktiven Politik der Partikularinteressen angehäuft wurden.

► KRANKENHAUSREFORM

In Karl Lauterbach setzten viele zunächst größere Hoffnungen im Umgang mit der Pandemie. Hier glänzte er auch eine Weile, bis die Öffentlichkeit entschied, die Pandemie sei vorbei und der Wissenschaftler Lauterbach weiter mahnte und damit nervte. Sein Wunschministerium übernahm er – nicht zuletzt – auf Drängen derselben Öffentlichkeit. Der Kanzler zögerte und wollte dem Wunsch zunächst nicht entsprechen und tat es dann doch. Der Gesundheitsminister der Herzen bekam seinen – nach persönlichen Angaben – Traumberuf.

Nach aufkommender Kritik, er widme sich als #Bundesgesundheitsminister ausschließlich dem Virus, stellt er am 8. Januar 2023 im ZDF klar, dass wir bei Datennutzung mehr als zehn Jahre zurückliegen und einer seiner Schwerpunkte in den kommenden Jahren sei das Krankenhaus.

Die Pandemie hatte die Krankenhäuser bereits 2020 in den Hyperfokus der Öffentlichkeit katapultiert. Jahrelanges Systemversagen konnte bei gleichzeitig hoher medizinischer Leistungsfähigkeit nur umständlich auf dem Rücken des Personals kompensiert werden. Gleichzeitig gibt es zu viele Krankenhäuser und bald zu wenig niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Das will der Minister jetzt ändern und ruft zur Revolution.

In der Primärversorgung brechen in den nächsten Jahren vernachlässigte Strukturen in sich zusammen. Mehrere Studien attestieren dem Land zu viele stationäre Einheiten, die zudem schlecht spezialisiert sind. Deshalb muss die Versorgungslandschaft umgebaut werden. Einerseits, um die ansonsten anstehende Kostenexplosion im stationären Sektor zu vermeiden; andererseits um den ambulanten Zugang zur Medizin zu reorganisieren.

Was früher als Vorhaben in der Blase versorgender Gesundheitsunternehmen und ihrer Kammern und Verbände zur reinen Nerd-Debatte verkam, muss im Hyperfokus der Öffentlichkeit bleiben. Denn in der Kombination eines postpandemischen Gesundheitsgeschehens und einer revolutionären Krankenhausreform liegt Sprengkraft. Damit will ich den Bogen nicht überspannen. Vielmehr sollten uns neben den Fragen der Strukturreform, ihrer Finanzierung und den Zuständen in der Pflege die Aspekte einer daten- und kompetenzgestützten Gesundheitskultur interessieren.

︎ Nachholbedarf und Erklärungsnot

#Gesundheitsdaten und #Gesundheitskompetenz sind zwei in den vollmundigen Ankündigungen Karl Lauterbachs vernachlässigte Gegenstandsbereiche. Auch deren Finanzierung vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise und einem allgemein schon eklatanten Investitionsstau zu stemmen, finden noch gar keine Berücksichtigung. Nicht nur die DKG erwartet bereits Insolvenzen. Auch Arztpraxen erfinden sich derzeit nicht neu, sondern jammern einer Nostalgie des eigenen Rollenbildes hinterher oder üben sich in einer Art dilettantischer Apathie gegenüber den Digitalisierungsbemühungen.

Gestritten wird bereits darüber, ob ein Krankenhaus noch ein Krankenhaus ist, wenn ein Haus mit bisherigem Status sich in einer der drei Versorgungsstufen an einer neuen Stelle wiederfindet. Das erinnert mich an Diskussionen, ob eine Verteidigungsministerin in der Wüste hochhackige Schuhe tragen sollte. Die Diskussion soll offensichtlich schon zu Beginn in einen Sandsturm aus Argumenten geführt werden. Das ist nicht im Sinne einer gelingenden Gesundheitskultur. Die Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmende Bevölkerung erkennt bereits an, dass es nicht mehr darum gehen kann, etwas mehr Geld zu verteilen und Strukturverbesserungen zu versprechen, um das Vorhaben im Sturm des Verteilungskampfs doch noch zu vereiteln.

Dem Bundesgesundheitsminister ist zu empfehlen, echte deliberative Kommunikation zu fördern, um die Bevölkerung mitzunehmen und außerhalb der Filterblase Krankenhaus, einen echten Diskurs zu ermöglichen. Denn hier besteht, wie beim Thema Verteidigung, extremer Nachholbedarf und Erklärungsnot.

Zuletzt haben sich Bevölkerungen aus Kreisen und Städten dafür ausgesprochen, Krankenhäusern so zu erhalten, sodass eine echte Sanierung verunmöglicht wurde. Mit dem Ergebnis, dass diese Krankenhäuser später wahrscheinlich ganz verschwinden oder im Zuge der jetzt angekündigten Reform umgewidmet werden.

Das ist auch den Krankenhäusern und ihrem Kommunikationsgeschick vor Ort anzukreiden. Versunken in der Selbstbeschäftigung glaubt man, die Bevölkerungen so lange im Dunkeln zu lassen, bis eine einzelne, reflexartige Abstimmung es richten soll. Wenn dann die Katze aus dem Sack gelassen wird, trifft Pragmatismus auf Unkenntnis und mangelnde Kompetenz, die Situation richtig einzuschätzen.

► Ein Krankenhaus ist kein Krankenhaus (mehr)

Krankenhäuser beweisen seit Jahren, dass sie die Rolle als Reparaturanstalt am Rande der Gesellschaft annehmen wollen. Anders ist das Kommunikationsgeschick – bis auf wenige Ausnahmen – nicht zu verstehen.

Anstatt sich als Hub in der Mitte der Gesellschaft neu zu erfinden, geht die Nerd-Debatte weiter. Das Krankenhaus als Plattform zu verstehen und die einzelnen Standorte unter einem bundeseinheitlichen Standard neu zu definieren, wäre dringend angezeigt. Dabei müssen die Menschen vor Ort mitgenommen werden. Diese lokale Verantwortung kann nicht an das Bundesministerium für Gesundheit delegiert werden. Das jedoch setzt voraus, Krankenhäuser kennen sich strategisch in deliberativer Kommunikation aus und laden aktiv dazu ein. Im engeren verknüpft sich so die eigene Bedeutung in Zukunft mit dem höheren Ziel einer gelingenden Gesundheitskultur.

Partikulare Interessen wie die auf Anzahl von Fällen und Erhalt von defizitären, nicht ausreichend professionell ausgerüsteten Fachabteilungen stünden so hintan. Die echte Inklusion der Bevölkerungen in den Reformprozess würde bedeuten, dass man sich vom Eminenzmarketing abwendet und den Menschen erklärt, was eine Haubitze von einem Kampfpanzer unterscheidet. Ergo ein MVZ von einem Krankenhaus.

► Der Alltag der Menschen wird entscheidend

Die Fitbit-Chefin sagte Ende des Jahres 2022 auf der #HTLTH2022 folgendes:

80 % of Health happens outside the four walls of the doctor’s office.

Geben wir uns nicht länger der Illusion hin, der Pfad für Gesundheitsleistungen in einer Welt der datengestützten Medizin sei immun gegen die Kommodifizierung gesundheitsbezogener Lebensbereiche durch digitale Großkonzerne. Auch wenn wir immer wieder hören, Google, Amazon und andere distanzierten sich durch Schließung einiger gesundheitsbezogener Geschäftsbereiche. Das sind einfache Unternehmensentscheidungen mit Relevanz für den kurzfristig agierenden Finanzmärkten. Zu den Visionen dieser Unternehmen gehört, alle entscheidenden Lebensbereiche zu durchdringen und uns von ihrem Weg zu überzeugen. Das gelingt Ihnen einfacher als einem Krankenhaus. Denn wir tragen die Vision der GAFAM mit unseren Smartphones körpernah mit uns herum und eine Immunisierung ist in nächster Zeit nicht zu erwarten.

Ein wenig benutzerfreundliches Krankenhaus hat es im Wettbewerb digital gestützter Gesundheitsmärkte schwer und verkommt, wie oben bereits ketzerisch erwähnt, zu einer Reparaturanstalt ohne Schnittstellen zum digitalen Gesundheitsgeschehen.

1.    Deshalb berücksichtigt eine revolutionäre Krankenhausreform die Gegenstandsbereiche #Gesundheitskompetenz und #Gesundheitsdaten.

2.    Deshalb darf eine Krankenhausreform nicht erst an der Pforte beginnen, was bedeuten kann, dass Krankenhäuser künftig Verantwortung im Bereich der Primärversorgung übernehmen sollten.

3.    Deshalb gehört das zunächst politische Vorhaben einer Krankenhausreform in den Hyperfokus der Öffentlichkeit.

► Deliberative Kommunikation wäre eine echte Revolution

Wir sind auf dem Weg in die Gesundheitsgesellschaft. Als Teil der aufkommenden Sinngesellschaft gibt sie für einen der wichtigsten Lebensbereiche jene Orientierung, die durch das fortschreitende Wegbrechen gewohnter Sicherheiten individuell verloren gehen kann. An der eigenen Gesundheit Raubbau zu betreiben, wie in der traditionellen Arbeitsgesellschaft wird bald verpönt sein oder das Privileg der Unwissenden bleiben, weil Gesundheitskompetenz fehlt.

In einer Gesundheitsgesellschaft ist nicht jeder gesund. Eine Gesundheitsgesellschaft beschreibt das Größte und das Ganze und das Zusammenhängende aller gesundheitsbezogener Tatsachen. Gesundheitsbezogene Tatsachen sind Wahrheiten über gesundheitsbezogene Zusammenhänge. Gesundheitskultur entsteht durch Verhandlung neuer gesundheitsbezogener Werte, die nicht ausschließlich auf der Agora einer Strukturreform von Krankenhäusern diskutiert werden darf.

Ich plädiere deshalb für ein tätiges Zusammenhandeln aller am Gesundheitsgeschehen Beteiligter.

Deliberative Kommunikation kam in den vergangenen Dekaden sowohl beim Thema Verteidigung als auch beim Thema Gesundheit zu kurz. Eine Krankenhausstruktur, die bereits vollzogene gesellschaftliche Transformationen würdigt und sich verantwortlich zeigt, die Bevölkerung gesund zu halten und Krankheiten adäquat zu kompensieren, wäre tatsächlich eine Revolution.

Ein letztes Wort zu den Medien, die sich seit Jahren hinsichtlich der Vermittlung gesundheitsbezogener Politik in Phrasen verlieren. Wünschenswert wäre es, die Krankenhausreform als wichtiges Thema zu erkennen. Derzeit wird sich kaum mit den Details einer Entflechtung des deutschen Gesundheitswesens beschäftigt. Vermutlich mangels kompetenter Begleitung wird Gesundheitspolitik im Mainstream der Hauptnachrichten und etablierten Talkshows zu stiefmütterlich behandelt.

Endet Lauterbach Revolution am Ende alter Zöpfe, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Revolution später ausbricht. Scheitert der soziale Frieden insgesamt, gesellt sich die mangelnde Versorgungssicherheit zu den anderen gesellschaftlichen Zerwürfnissen und fordert seinen Tribut, während wir uns vielleicht darüber unterhalten, warum Lauterbach keine Fliege mehr trägt.

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